Interview mit Walter Steffens

Krisengebeutelte Getränkelogistik trifft sich und diskutiert auf der BrauBeviale

Die deutsche Getränkelogistik benennt seit Jahren deutlich ihre Problemfelder und präsentiert entsprechende Lösungen. Doch die Lobbyarbeit ist bisher wirkungslos, zumindest verpuffen die Handlungsempfehlungen mehr oder weniger ungehört. Ein weiterer Schritt wurde auf der zurückliegenden BrauBeviale, einer Fachmesse für die Getränkeindustrie, getan. Unter anderem konnten Fachkundige auf der drei Tage dauernden Veranstaltung in Nürnberg einer seit Jahren etablierten Reihe von Podiumsdiskussionen folgen, dem LOGICircle 6.0. Walter Steffens, Vorstand der FÜR SIE Handelsgruppe stand zum Interview bereit. 

"Herr Steffens, Sie sind bekanntermaßen ein Verfechter der Mehrwegkreisläufe in Deutschland und bekennen sich zum Wunsch, Individualflaschen abzuschaffen. Denn diese haben die Getränkelogistik kurz vor den Kollaps gebracht. Fachkräftemangel, LKW-Maut und CO2 -Abgaben tun ihr Übriges dazu und verschärfen die Situation für die Spezialisten weiter. Was genau ist das Problem der Individualflaschen und wie handhaben Getränkelogistiker die Situation?"

Die Individualflasche ist aus Marketing-Sicht eine Möglichkeit zur Abgrenzung und Aufwertung auf dem hart umkämpften Markt. Realistisch betrachtet ist die Individualflasche allerdings nicht ausschlaggebend bei der Entscheidung für oder gegen eine Marke. Für die Logistik-Prozesse und im Sinne der Nachhaltigkeit hingegen stellt sie ein großes Problem dar. Sicher kann man dem daraus resultierendem Feinsortieraufwand – es muss ja genau diese Flasche in genau diese eine Brauerei oder den Brunnen zurück – durch hochautomatisierte Technik begegnen. Das kostet aber sehr viel Geld. Viele GFGH scheuen diese Investition aufgrund des allgemeinen Kostendrucks. Manche GFGH investieren hier allerdings sehr bewusst, was ich persönlich begrüße und auch dringend empfehle. Selbst bei einem Verbot der Individualflasche gibt es immer noch über 40 verschiedene Pool-Gebinde, die nur mit einer hochautomatisierten Sortierung schnell genug zum Hersteller zurückbefördert werden können. Insbesondere mit Blick auf eine gesetzliche Mehrwegpflicht erhöht sich hier der Druck auf alle Beteiligten in der Logistikkette. Fazit: Es braucht ZWEI konkrete Maßnahmen, um den Mehrwegkreislauf zu entlasten: Automatisierung, wo immer es möglich ist, und die Durchsetzung eines gemeinsamen Mehrweg-Pools, wie z. B. GeMeMa.

 

"Eigentlich liegen die Nachteile doch deutlich auf der Hand. Warum tut sich so wenig auf Seiten der Brauereien und Brunnen, wenn es um die Verringerung von Individualgebinden geht?"

Um sich im Markt zu behaupten, richten die meisten Hersteller ihre Entscheidungen auf den Kunden und den Markt aus. Die Folgen für die Getränkefachmarktbetreiber, GFGH und Dienstleistungsunternehmen werden unterschätzt bzw. in Kauf genommen.

 

"Was muss noch passieren, damit die Getränkehersteller von ihren Sonderflaschen abrücken und nur eine Pool-Flasche (bezogen auf die Warengruppe) verwenden?"

Ich sehe hier eine gesetzliche Initiative zum Verbot von Individualflaschen als eine umsetzbare und - bei genügendem zeitlichen Vorlauf - faire Lösung. Die Bemühungen, einen freiwilligen Verzicht zu erlangen, sind bisher gescheitert. Schuld sind nicht allein die Inverkehrbringer der Individualgebinde, sondern auch viele Pool-Teilnehmer. Denn ein Pool muss gepflegt und eine ausreichende Zahl an Neuflaschen fortwährend eingespeist werden. Dies geschieht nicht immer von allen im vereinbarten Umfang.

 

"Die Probleme häufen sich. Könnte man das nicht als Zeichen sehen, die Prozesse kritisch zu prüfen und statt auf Mehrweg komplett auf Einweggebinde umzustellen? Zumindest würde das die Komplexität der Branche reduzieren sowie personelle und finanzielle Ressourcen frei werden lassen."

Ja, Einweg wäre auch denkbar. Aber das ist unter den derzeitigen Gegebenheiten keine echte Option.

 

"Sie haben im LOGICircle 6.0 darüber diskutiert, welche Prozessschritte man wie optimieren muss, um langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben und nachhaltig zu wirtschaften. Unter anderem haben Sie gemeinsam mit den anderen Teilnehmenden festgestellt, dass die Digitalisierung und der Fachkräftemangel die größten Problemfelder sind. Warum ist es so schwer, diesen beiden Themen zu begegnen bzw. liegt die Lösung beider Sachverhalte doch relativ nahe?"

Nun ja, zum Thema Fachkräftemangel ist alles gesagt. Eine naheliegende Lösung sehe ich nicht. Wir müssen hier anerkennen, dass wir mit weniger Menschen die gleiche Leistung erbringen müssen. Das geht durch Weglassen von ineffizienten Prozessen und Sortimenten oder durch verstärkte Automatisierung. Sei es Leergutsortierung oder Warenfluss- und Sortimentsoptimierungen – mit der Unterstützung durch KI werden die Möglichkeiten steigen.

 

"Da Sie durch eine der FÜR SIE -Tochtergesellschaften, der LHV, auch unmittelbar von der Krise der Getränkelogistiker betroffen sind, kennen Sie die Schmerzpunkte sehr genau. Haben Sie einen Vorschlag, wie man zumindest dem Fachkräftemangel begegnen kann?"

Man sollte den Engpass „Fachkraft“ durch Roboter ersetzen, wo immer es möglich ist. Darüber hinaus haben wir alle die gleiche Herausforderung, dass die Attraktivität des Arbeitgebers und die angebotenen Arbeitsbedingungen von den Arbeitskräften bewertet werden – sei es im Büro, in der Kommissionierung oder auf dem LKW.

 

"Das System der Mehrweggetränkelogistik ist weltweit einzigartig. Warum sollte Deutschland daran festhalten?"

Glasflaschen sind einfach die beste Verpackung für Getränke. Ob dies mit Mehrweg oder Einweg am besten geht, ist alles andere als klar. Aber in Deutschland sind die Rahmenbedingungen für Mehrweg sehr gut und unter dem Strich klimafreundlich umsetzbar. So wie jeder Konsument das Klima durch weniger Fleischkonsum schützen kann, so kann jeder Biertrinker auf regionale Marken zugreifen – man muss kein Bier aus einer weit entfernten Brauerei trinken, um Genuss zu erfahren. Das Gleiche gilt natürlich für alle GetränkeWarengruppen.

 

"Eine letzte Frage, bzw. eigentlich vier: Wo sehen Sie die Branche in fünf Jahren? Wird sie im Jahr 2029 die gebotene Unterstützung durch die Politik erhalten haben? Werden Hersteller eingesehen haben, dass die Individualflasche langfristig allen schadet? Und zu guter Letzt: Wird die Digitalisierung in der Getränkelogistik einen entscheidenden Schritt weiter sein als heute?"

In fünf Jahren werden wir wahrscheinlich nicht weiter sein als jetzt. Nur wenn wir sofort anfangen, das Richtige zu entscheiden, können wir in fünf Jahren erste Ergebnisse erzielen. Ich denke schon, dass die beiden Initiativen der Mehrwegpolitik in Berlin und Brüssel den Druck auf die Branche zumindest erhöhen. Denn freiwillig werden die Hersteller nicht zur Einsicht kommen, dass die Individualflasche im Hinblick auf Kosten, Prozesse und Klimaschutz inakzeptabel ist. Ja, bei der Digitalisierung müssen wir Gas geben und Stammdaten stärker in den Fokus bringen.

"Herr Steffens, wir danken Ihnen herzlich für das Gespräch."

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