Branchenkenner Jürgen Reichle im Interview.

Herr Reichle, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für dieses Interview genommen haben. Der Verband Deutscher Mineralbrunnen (VDM) vertritt mit Ihnen als Geschäftsführer die politischen und wirtschaftlichen Interessen seiner rund 150 Mitgliedsbetriebe aus der Mineralbrunnenbranche. Keine leichte Aufgabe in einer Zeit, in der zwar viel über Nachhaltigkeit und Umweltschutz geredet wird, dem aber allzu oft keine Taten folgen.

Dürren, Überschwemmungen, steigende Temperaturen. Durch lange regenlose Perioden trocknen die unterirdischen Wasservorkommen aus. Ist der Klimawandel für natürliches Mineralwasser eine Gefahr? 
Der Klimawandel ist eine der größten Herausforderungen, vor der wir alle stehen. Die auch im wasserreichen Deutschland an einigen Stellen wachsende Knappheit an oberflächennahem Grundwasser besorgt und beschäftigt uns sehr. Allerdings sind die Mineralbrunnen in Deutschland keinesfalls verantwortlich für die Wasserknappheit. Sie entnehmen in der Regel Tiefengrundwasser und gehen dabei verantwortungsbewusst mit den ihnen vom Staat anvertrauten Quellen um. Zudem entnehmen sie für einen ausgeglichenen Wasserhaushalt nie mehr als eine verbindliche Menge. Dabei handelt es sich um weniger als 0,4 % der Gesamtentnahmemenge aus dem Grundwasser. Die Wasserversorgung in Deutschland steht dennoch vor großen Herausforderungen. Die zwei wichtigsten Fragen sind: Wie kann die Versorgung der Bevölkerung mit der Ressource Wasser gewährleistet werden? Wer darf für welchen Zweck Wasser nutzen? Unserer Meinung nach muss der Wassernutzung für den Verzehr durch den Menschen unbedingt Vorrang eingeräumt werden.

Der VDM setzt sich für politische Rahmenbedingungen ein, die darauf abzielen, alle unterirdischen Wasserressourcen vor negativen Umwelteinflüssen und Bedrohungen durch den Klimawandel zu bewahren. Gleichzeitig strebt die Branche Klimaneutralität bis zum Jahr 2030 an. Wie passt das zu der Aussage, dass jedes Gebinde – egal ob Glas oder PET – seine Daseinsberechtigung hat? 
Das passt sehr gut zusammen. In Deutschland haben wir ein vorbildliches Mehrweg- und Kreislaufsystem mit Rücklaufquoten von nahezu 100 %. Damit landen die Flaschen weder in der Umwelt noch in den Weltmeeren. Zudem werden die bepfandeten Getränkeverpackungen der deutschen Mineralbrunnen, Glas und PET, nahezu vollständig wiederverwendet oder -verwertet. Das spart Ressourcen und verringert Emissionen. Jede Materialart hat ihre Vorteile. PET beispielsweise ist ein hochwertiger Rohstoff, der nahezu beliebig häufig wiederverwertbar ist. Mit zunehmenden Anteilen von Rezyklat in PET-Gebinden lassen sich effektiv CO₂-Emissionen reduzieren..

Durch Wassersprudler mit Kohlensäure versetztes Leitungswasser ist deutlich nachhaltiger als ein Mineralwasser, das Hunderte von Kilometern durch Deutschland transportiert wurde. Wie erklären Sie der an Umweltschutz interessierten Zielgruppe, dass sie trotzdem „echtes“ Mineralwasser konsumieren sollte?
Mineralwasser hat bereits heute einen der kleinsten CO₂-Fußabdrücke in der Lebensmittel- und Getränkeindustrie. Gerechnet auf den durchschnittlichen CO₂-Fußabdruck der Menschen in Deutschland hat der jährliche Mineralwasser-Konsum einen Anteil von weniger als 0,25 % – und wir arbeiten daran, dass in der Gesamtheit der Fußabdruck noch kleiner wird. Die Branche hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2030 klimaneutral zu wirtschaften. Mineralwasser hat einiges zu bieten: ursprüngliche Reinheit, eine große Auswahl, eine einzigartige Geschmacksvielfalt und die individuelle Zusammensetzung mit Mineralstoffen für unterschiedliche Bedürfnisse.

An welcher Stelle könnte man die Öffentlichkeitsarbeit noch optimieren, um natürliches Mineralwasser genauso attraktiv zu machen wie große Softdrink-Marken? 
Mineralwasser hat ein sehr attraktives Image und die Vorteile werden von den Konsument:innen wahrgenommen. Im AFG-Sektor ist Wasser das absatzstärkste Segment mit knapp 55 % Anteil an der Gesamtmenge. Verbraucher:innen können aus einem einzigartig vielfältigen Angebot von über 500 Quellen in Deutschland schöpfen. Es ist wirklich für alle etwas dabei: verschieden mineralisiert, mit wenig, viel oder ohne Kohlensäure. Aber so, wie die Welt um uns herum zunehmend vielfältiger und lauter wird, müssen wir uns anpassen und auch lauter werden und damit wahrnehmbar bleiben. In diesem Jahr haben wir erstmals den Tag des Mineralwassers am 7. Oktober 2022 begangen, an dem wir das Naturprodukt bundesweit mit verschiedenen Aktionen ins Licht rücken.

Wird das Nahrungsmittel Nummer Eins von den Konsument:innen unterschätzt oder ist allen klar, dass es sich tatsächlich um das „Superfood“ schlechthin handelt?
123 Liter Mineralwasser trinken die Menschen in Deutschland pro Kopf und pro Jahr.¹ Damit ist es der beliebteste Durstlöscher. Mineralwasser ist für über 90 % der Konsument:innen ein Baustein einer gesunden Ernährungs- und Lebensweise. Ich glaube jedoch auch, dass sich viele im Alltag selten Gedanken darüber machen, wie viel und was sie am Tag trinken. Mineralwasser ist definitiv das „Superfood“ und damit unverzichtbar für das tägliche Leben und eine bewusste Ernährung. Dies muss fest in den Köpfen der Kund:innen verankert werden.

In jedem Sommer stehen wir vor dem gleichen Problem: Mehrweg-Flaschen und Leerkästen sind Mangelware, die „überraschende“ Hitze im Juli und August lässt die Verbraucher:innen kistenweise Flaschen horten. Warum schaffen sich die Mineralbrunnen nicht einfach mehr Neugebinde an, statt immer wieder aufs Neue um die zeitnahe Rückgabe zu betteln?
Das Mehrwegsystem funktioniert sehr gut. Seinen Sinn und Zweck erfüllt es, wenn der Kreislauf in Schwung gehalten wird. Dazu sollte das Leergut zeitnah wieder zurückgebracht werden, und daran erinnern wir die Verbraucher:innen auch gerne in den Hochphasen im Sommer. Ziel von Mehrweg ist es, Rohstoffe, Ressourcen und Emissionen einsparen zu können. Auf einen Überhang an Gebinden zu setzen, die temporär nur im Sommer gebraucht würden, ist da nicht der richtige Weg.

Immer wieder nehmen sich bekannte Fachmagazine Mineralwässer als Testobjekte vor. Wie kann es sein, dass trotz aller Vorschriften und Kontrollen immer wieder Wässer darunter sind, die den Vorgaben nicht genügen?
Aktuell hat Stiftung Warentest 32 Classic-Mineralwässer unter die Lupe genommen, 25 davon erhielten die Note „sehr gut“ oder „gut“. Das ist ein hervorragendes Ergebnis, welches bestätigt, dass sich die Verbraucher:innen jederzeit auf die hohe Qualität des Naturprodukts Mineralwasser verlassen können. Alle getesteten Mineralwässer sind mikrobiologisch einwandfrei und halten die strengen gesetzlichen Qualitätsvorgaben der Mineral- und Tafelwasserverordnung (MTVO) ein. Es kommt aber immer wieder vor, dass die Fachmagazine nach eigenen Maßstäben abwerten, selbst wenn gemessene Stoffwerte weit unterhalb der gesetzlich zulässigen Grenzwerte liegen, und damit als unbedenklich einzustufen
sind. Das ist nicht gerechtfertigt und wird gegenüber den Verbraucher:innen aus unserer Sicht dramatisiert, um Aufmerksamkeit zu erregen.

Was ist Ihr persönliches Herzensthema, wenn wir von Mineralwasser und dem Verkauf desselben sprechen?
Ich bin im Ahrtal aufgewachsen und vor dem Studium habe ich eine Ausbildung bei Apollinaris in Bad Neuenahr absolviert – ich bin sozusagen mit dem Naturprodukt Mineralwasser groß geworden. Selten findet man ein Produkt mit so vielen positiven Eigenschaften. Ich möchte zum Erhalt dieses einmaligen Naturprodukts beitragen und es wieder stärker in die Wahrnehmung der Menschen rücken.

Herr Reichle, wir bedanken uns herzlich für das Gespräch.

 

¹ vgl. Website VDM (https://www.vdm-bonn.de/)

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